ITT Briefe der Ouai

Aus Mythopedia

1) Brief von Pa'Jolan Piankeshaw an seinen Meister Shepahcannah, irgendwann vor dem ersten Bruderkrieg.

Ehrwürdiger Meister,

alles, was ich weiß und bin, erwarb ich von oder durch euch, und dafür bin ich euch ewig zu tiefem Dank verpflichtet. Ihr habt mich stets gelehrt, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, achtsam und mit wachem Geist. Dies, ehrenwerter Meister, bemühte ich mich alltäglich umzusetzen, um euch und den Grundsätzen des Ordens zu genügen, und nie leitete mich ein anderes Ziel als jenes. Vergebt mir jedoch, Meister, wenn ich während meines Weges Fragen aufwarfen, die ich nicht recht zu vereinen vermag mit dem, was ihr mich lehrt. Übt Nachsicht mit meinen Zweifeln, Meister, doch verweigert mir nicht den Rat, dessen ich bedarf. Ihr steht wie ein Fels in der Brandung, Meister, und lehrtet mich stets, meiner Umgebung mit der gleichen Ruhe zu begegnen, wie ihr sie allzeit aufzubringen vermögt. Doch die Zeiten sind nicht ruhig, Meister, und verändern sich immer mehr mit jenem vergehenden Tag, mit jedem Jahr, welches dahin zieht. Ihr verharrt, Meister, unbeweglich, während die Welt um euch herum sich wandelt. Ich komme nicht umhin mich zu fragen, Meister, wann die Grenzen der Zurückhaltung erreicht sind, wann Gleichmut in Ignoranz übergeht, wann Neutralität zu Feigheit wird. Wir können nicht die Erkenntnis verweigern, dass auch wir ein Teil dieser Welt sind. Wir atmen, wir essen, wir trinken, wir schlafen, und unterwerfen uns damit den Gesetzen des Körpers, denen wir uns auch bei aller Macht nicht entziehen können. Der Sturm reißt uns um, das Wasser trägt uns hinfort, das Feuer verbrennt uns, die Erde begräbt uns unter sich, und somit unterwerfen wir uns ebenso den Gesetzen der Elemente, statt ihnen in abgehobener Zurückhaltung begegnen zu können. Wir sind Teil dieser Welt, wie können wir uns ihr da verweigern und vorgeben, starr und unveränderlich zu bleiben, während sie sich wandelt? Die Ordnung, Meister, auf die wir uns berufen, erscheint immer mehr hohl und leer, ein Begriff, um Kinder zu täuschen und in Sicherheit zu wiegen, während andere Kräfte längst mit Macht daran sind, alles, was so lange bestand, grundlegend zu verändern. Können wir, Meister, uns dem verweigern, können wir die Augen verschließen und uns hinter Grundsätzen verschanzen, die unsere Vorväter verfassten, edle und weise Ouai zweifellos und beseelt von bestem Willen, doch ohne Ahnung dessen, was uns heute bewegt. Wenden wir, Meister, nicht die Werkzeuge der Vergangenheit an auf die Herausforderungen der Gegenwart? Erwarten die Völker nicht in diesen Tagen mehr von uns, als ein wissendes Lächeln, einen Handschlag und die Versicherung, dass alles gut würde, sofern sie nur ruhig und beherrscht blieben? Können wir tatsächlich jene, die besonders jetzt Tatkraft und Entschiedenheit von uns erwarten, mit nichts als einem weisen Rat nach Hause senden? Wann, Meister, wird Untätigkeit zum Verrat?

Voller Ergebenheit

Piankeshaw


2) Antwort von Meister Shepahcannah an seinen Pa'Jolan Piankeshaw, irgendwann vor dem ersten Bruderkrieg.

Mein treuer Pa'Jolan,

es ist das Vorrecht der Jugend, Fragen zu stellen, und es ist die Aufgabe der Alten, darauf zu antworten. Aus Euch, junger Freund, spricht das ungestüme Blut, der aufbrausende Geist eines Jünglings, dessen Tatendrang noch nicht durch die notwendige Weisheit gemäßigt und geleitet wird. Ihr erzählt von einer Veränderung der Welt, von einer Wandlung der Dinge. Es mag Euch, junger Pa'Jolan, so erscheinen, als geschähe all dies zum ersten Mal, als wäre alles neu uns nie dagewesen. Doch vergesst nie bei Euren Überlegungen, dass die Welt schon immer im Wandel war, dass nichts so bleibt, wie es ist, und was Euch bedrohlich erscheint im Grunde doch seit Anbeginn der Zeit geschieht, mal leise und unmerklich, und mal deutlich hervortretend, doch stets aktiv.Wo Ihr etwas Besonderes erkennt, sehe ich das Alltägliche. Unsere Aufgabe ist es nicht, zu gestalten, junger Pa'Jolan, uns aufzuschwingen in die Rolle von Herrschern oder Heerführern und der Welt unseren Stempel aufzudrücken. Unsere Aufgabe ist es, Ausgleich zu finden. Ihr ruft danach, unsere Wege zu überdenken, doch so wie Ihr Feuer nicht mit Feuer bekämpfen könnt, so könnt Ihr Wandel nicht mit Wandel begegnen. Wird die Welt um euch herum immer lauter, so begegnet ihr damit, selber immer leiser zu werden. Wird Eure Umgebung hektisch und nervös, so reagiert darauf, indem ihr selber immer ruhiger werdet. Wer Gleichgewicht herzustellen sucht, der muss entsprechend handeln. Ihr, junger Freund, wünscht dem vielstimmigen Ruf eure lautstarke Antwort entgegen zu setzen, und erreicht damit nichts, als den Lärm zu vergrößern. Erinnert euch jedoch an eure Ausbildung, Pa'Jolan, und erkennt eure eigene Weisheit, statt der Stimme zu lauschen, welche sich am kräftigsten Gehör verschafft. Es ist nicht der Wandel der Welt, der Euch und mich beunruhigen sollte, sondern jene, die dies für ihre eigenen Ziele instrumentalisieren wollen. Lauscht ihr ihnen, werdet ihr wenig mehr sein als ein Werkzeug in fremder Hand. Es ist jedoch nicht der Weg des Ordens, einzelnen ein Werkzeug zu sein, sondern einzig im Dienste aller zu stehen. Lasst uns also ruhig verharren, bis wir die Stimmen in ihrer Gesamtheit vernommen und ihren Willen erkennt haben, statt umgehend hinfort zu stürmen. Ihr wünscht Rat, Piankeshaw, und ihr sollt ihn erhalten. Haltet inne. Viel mehr kann und will ich euch nicht sagen, denn ich vertraue auf Eure Ausbildung und Euer bereits erlangtes Wissen um die Wege unseres Ordens. Was die Völker zuvorderst brauchen ist weder Herz noch Hand, sondern ein besonnener Verstand, der aus tiefer ruhe in der Lage ist, über die Grenzen des heute und des morgens hinweg zu sehen, auf dass die Nöte des Tages, die eben noch so drängend erschienen, vor der großen Ordnung der Schöpfung zurücktreten. Geht in euch, junger Pa'Jolan, und erkennt die Macht vollkommener Ruhe. Der Weg des Ausgleichs wird sich weisen, wenn jene Stimmen heiser und ihre Arme müde geworden sind, und dann werdet ihr, ausgeruht und voller Kraft hervortreten, und das Wort der Ordnung führen. Alles kommt zu dem, der warten kann.

Handelt besonnen.

Shepahcannah


3) Brief von Pa'Jolan Piankeshaw an seinen Meister Shepahcannah, irgendwann vor dem ersten Bruderkrieg.

Meister,

habt Dank für die Zeit, eine Antwort auf meine geäußerten Sorgen zu verfassen. Es ist nicht eure Pflicht, Euch gegenüber einem Schüler zu rechtfertigen, und doch habt Ihr es zu tun versucht. Verzeiht, Meister, wenn ich dennoch zweifle. Wir wurden dermaleinst geschaffen um zu dienen. Die Besten und Weisesten sammelten sich im Angesicht dieser Aufgabe, und die Ausbildung ist lang, hart und fordernd. Unsere Kenntnisse sind vielfältig, unser Wissen umfassend und unsere Macht groß. Dies alles geschah um es uns zu ermöglichen, unsere Aufgaben erfolgreich auszuführen und zu bestehen, wo andere versagen würden. Und nun heißt Ihr mir zu warten, untätig zu bleiben, angesichts der Herausforderungen zu verharren in friedlichem Schweigen? Wofür wurde unser Orden dann gegründet? Wofür wurden die Unseren so akribisch auserwählt? Wofür unterwerfen wir uns jenem schwierigen Lernprozess? Verzeiht meine ungestümenWorte, Meister, doch jeder Bauer vermag stillzusitzen und zu schweigen. Tote sind still und schweigsam. Dafür bedarf es keines Ordens. Viel eher scheint es an der Zeit, all das Wissen auf das trefflichste zum Einsatz zu bringen, welches ihr uns beizubringen so redlich mühtet. Es mangelt uns nicht an Kraft und Befähigung, dafür habt nicht zuletzt Ihr gesorgt, Meister. All diese Ausbildung soll und darf nicht umsonst gewesen sein. Die schärfste Sense setzt Rost an, wenn sie nie geschwungen wird. Ihr schreibt von einem Weg, der sich weisen soll. Ich aber sage euch, der Weg liegt bereits offen vor uns. Ihr mögt, und ich sage dies in aller Demut, Meister, zu lange schon abseits der Völker sein, um zu wissen welche Wandlungen sich auftun, welche Möglichkeiten, und was die Zeit gebietet. Aus den Elementen selbst, denen zu dienen wir verpflichtet sind, kommt der Weg zum vollkommenen Ausgleich, zur perfekten Neutralität, der Einswerdung allen Seins, dem Ende von Zwist und Streit. In Aussicht steht die Vervollkommnung dessen, wofür wir erschaffen wurden, das ultimative Ziel. Fürchtet Ihr, Meister, Euch selber überflüssig zu machen? Lässt dies Eure Hand zögern und Euren Geist zaudern? Ihr predigtet mir stets die Selbstlosigkeit unseres Handelns im Dienste an einer großen Sache E also handelt, selbstlos, wenn sich die Möglichkeit eröffnet.

Voller Entschlossenheit der Eure

Piankeshaw


4) Antwort von Meister Shepahcannah an seinen Pa'Jolan Piankeshaw, irgendwann vor dem ersten Bruderkrieg.

Mein Schüler,

als ich euch hieß, offen zu sein für die Welt um euch herum, und mit wachem, lernbereitem Geist durch euer Dasein zu schreiten, so erwartete ich, dass etwas meiner Lehren in euch verfangen hätte. Ich sandte euch hinaus um zu lernen, um euch zu vervollkommnen, und um euch zu prüfen. Fehlt mich nicht in dieser Prüfung, so mahne ich euch nun. Ihr habt während Eurer Lehrzeit innerhalb des Ordens gelernt, all dem gewissenhaft zu lauschen, was euch gelehrt wird, und es in euch aufzunehmen. Doch die Welt dort draussen stellt andere Anforderungen an einen jungen Geist. Nicht alle Stimmen dort draussen geben die Wahrheit unverfälscht wieder, nicht alle Absichten sind rein, nicht alles ist, wie es zu sein vorgibt. Mag ein Pa'Sedin hier auch noch irren, so erwarte ich doch von euch, mein junger Pa'Jolan, ein besseres Urteilsvermögen, als mir Euer Schreiben offenbart. Wir sind Diener, fürwahr, und keineswegs und zu keiner Minute habe ich dies vergessen. Doch sind wir nicht Diener einer Sache, sondern aller. Nicht Helfer eines Ziels, sondern aller. Nicht Erfüller eines Willens, sondern aller. Wo ihr einen Weg zu erkennen glaubt, steht Ihr doch in Wahrheit inmitten eines Labyrinthes aus Kreuzungen. Blindwütig loszustürmen, nachdem ihr nur einen nach dem Weg gefragt habt, ist aussichtslos. Wer Ruhe bewahrt, und seinen Weg genau plant, wird hingegen sein Ziel sicher erreichen, mag es ihn auch Zeit kosten. Jetzt hinauszuziehen, wie ihr es wünscht, um voller Mut und gutem Willen die Welt zu verändern, missversteht unseren Auftrag grundlegend. Wir dienen den Elementen nicht, indem wir eines jeden Wunsch blind verrichten. Der Orden lehrt nicht die von euch angesprochenen Fähigkeiten, um dann gedankenlos zu befolgen, was andere befehlen mögen. Eindringlich warne ich Euch, ungestümer Pa'Jolan, den Weg, den ihr zu beschreiten trachtet, eingehend zu prüfen, um zu erkennen, welche Gefahren hinter dem Horizont lauern. Ihr entscheiden nach der Route, welche euch reizvoll und leicht zu beschreiten erscheint, und überseht zu ergründen, wo sie einmal enden wird. Bedenket, es gibt Straßen ohne Rückkehr. Auf Eurem Weg lauert Gefahr. Habt Ihr den Krug einmal zerschlagen, werdet ihr das Wasser nie mehr darin zurückholen können, also überlegt weise, ehe Ihr das Gefäß zu Boden schleudert. Ich kenne Euch nun lange, mein Schüler, und weiß sehr wohl, dass ihr das Zeug habt, ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft zu sein. Ja ich bin mir sogar sicher, dass aus Euch eines Tages ein Meister werden kann, der die Geschicke unseres Ordens lenkt. Alles, was es dazu bedarf, steckt in Euch. Vergeudet diese Fähigkeiten nicht, indem Euer heißes Blut über Euren Geist obsiegt. Kehrt zurück , und wir werden lange und eindringlich über Eure Erfahrungen meditieren.

Shepahcannah


5) Brief von Pa'Jolan Piankeshaw an seinen Meister Shepahcannah, irgendwann vor dem ersten Bruderkrieg.

Meister,

nie kann ich vergessen, was Ihr mich lehrtet, und immer werde ich Euch zu tiefem Dank verpflichtet sein für all das, was Ihr mir so gütig und geduldig auf den Weg mitgabt. So schätze ich Eure Meinung hoch, und blicke voller Dankbarkeit auf Eure Worte. Ihr ruft mich zur Rückkehr auf, Meister, auf dass wir gemeinsam nachsinnen. Bitte vergebt Eurem gehorsamen Schüler, doch werde ich zum ersten Mal Eurem Ruf nicht Folge leisten können. Ich habe mittlerweise erkannt, wie ich den Idealen unseres ewigen Ordens am vortrefflichsten zu dienen vermag, und so werde ich tun, was zu vollbringen mich gelehrt wurde. Wir sind geschaffen als Diener der Einheit, und Einheit ist es mehr als alles andere, was ich erstrebe. Ein Miteinander unter Gleichen, ein Ende von Ränke und bitterem Streit, von Missgunst und Unverständnis. Es gibt einen Weg der perfekten Diplomatie, an dessen Ende alle mit einer Stimme sprechen, ohne Misston. Einen Weg, den aufbrechenden Streit zu schlichten, indem er alle auf das gleiche Ziel zurückzuführen und auf das Wesentliche zu besinnen in der Lage ist. Es wäre ein Verrat an den Idealen des Ordens, diesen Weg nicht zu bestreiten, welcher aus den Reihen der Elemente selber kommt, denen wir dienen. Unser Orden wurde erschaffen, um angesichts all der Fehler der Schöpfung zu vermitteln und auszugleichen, um angesichts der Mängel der bestehenden Ordnung deren Folgen zu mildern. Wir wurden gerufen als Boten und Diplomaten, weil eine Vielzahl von Interessen und Zielen dies notwendig machte. Vereinen wir diese Interesse und Ziele in einem Punkt, bedarf es unser nicht mehr. Unsere gestellte Aufgabe, welche die alten Herrscher uns mit auf den langen Weg gaben, wäre auf das Vortrefflichste erfüllt. Wahre Neutralität ist erreicht, wenn es keine widerstreitenden Willen mehr gibt, keine divergierenden Ansichten und keine Konflikte der Interessen. Wir können dies erreichen, Meister. Es gibt einen Weg dorthin. Das Schwarze Eis hat ihn gefunden. Es wird eine perfekte Ordnung sein. Vielleicht sehen wir uns nie wieder, Meister. Ich vermag es nicht zu sagen.

Lebt wohl.

Piankeshaw