ITT Doran

Aus Mythopedia
Spielwelt(en):Mitraspera
Urheber:innen:Olav Möhring
Mitwirkende:weitere Autor:innen
Jahr:2013

Wer bin ich?

Je weiser ein Wesen ist, desto schwerer fällt ihm anscheinend die Beantwortung dieser Frage, zumindest aber die Formulierung der Antwort. Jeder, der den Versuch gewagt hat, hat irgendwann den Punkt erreicht, an dem immer mehr und mehr Worte dennoch nicht zur Gänze beschreiben konnten, was da beschrieben werden wollte.

Umso verwunderlicher ist, dass wir uns nicht scheuen, anderen die Frage zu stellen, wer sie sind.

Für gewöhnlich ist die Antwort ein Name. Hin und wieder erhalten wir noch eine Beschreibung dazu, vielleicht die Nennung des Amtes, das der Träger des Namens innehat.

Was aber beschreibt die Person besser? Eine Folge von willkürlich gewählten Tönen aus dem Reigen derer, die unsere Sprachwerkzeuge zu erzeugen in der Lage sind, oder eine Beschreibung der Herkunft oder der Tätigkeiten und Aufgaben der Person? In den meisten Fällen vermutlich eher Letzteres.

Welchen Sinn hat aber ein Name überhaupt? Er ermöglicht es oft nicht einmal eine Person eindeutig zu identifizieren. Suchst Du Fora'am den Jüngeren oder seinen Vater, Fora'am den Älteren? Ah, keinen von beiden. Du suchst Fora'am aus der Siedlung am Fluss. Den, der Schreiber ist oder den Hirten?

Welchen Sinn machen Namen, wenn man noch Ergänzungen braucht? Was für einen Sinn macht es, wenn Namen sogar in oder aus der Mode kommen können?

Jener, der solche Fragen stellt, sollte darüber sinnieren, ob diese die Richtigen sind. Was kümmert die Schöpfung die Töne, die Eltern ihrem Spross zuordnen, willkürlich und blind für die Wahrheiten, die es gibt.

Denn die Schöpfung kennt jeden von uns. Und erkennt uns an dem einen Namen, der die Antwort auf die Frage ist: Wer bin ich?

Der Doran ist auch bekannt als der Wahre Name, denn er schwingt auf allen Sphären mit der Seele der Person. Ihn zu finden, sich selbst zu erkennen, vollständig und ohne die Schleier und Mäntelchen des Selbstbetrugs und der Selbstüberschätzung oder ungeziemender Bescheidenheit, bedeutet Macht. Wer sich selbst erkennt, der erkennt die eigene Rolle im Gefüge und vermag, Dinge zu sehen, die anderen verborgen und Dinge zu tun, die anderen unmöglich sind.

Jeder von uns hat einen Doran, doch nur wenige kennen den ihren. Ich teile bereitwillig mit Euch das Wissen um die Existenz des Wahren Namens, doch werde ich den meinen nicht preisgeben. Das wäre nicht weise, denn über den wahren Namen kann man die Seele erreichen, im Guten wie im Bösen.

Doch wie erkennt man den eigenen Doran?

Ich kenne meinen Doran. Und ich kenne andere, die den ihre fanden.

Die Wege waren unterschiedlich, doch gibt es Gemeinsamkeiten. Ein jeder, der mir berichtete, dass es ihm gelungen war, seinen Wahren Namen zu finden, erklärte, dass das Wissen darum die ganze Zeit in ihm gewesen ist, dass er es aber bis dahin nicht hatte finden können. Es ist die Eigenart des Dorans, sich vor uns zu verbergen. Ein Vorhang, ein Schleier hindert uns daran, uns selbst zu erkennen.

Den Vorhang durchtrennen kann man auf verschiedene Weise. Es gibt Kräuter und Dämpfe, die den Geist befreien. Fasten und Selbstbesinnung, Tage völliger Einsamkeit und ohne Betätigung, auch bestimmte Gegenstände der Macht, all das sind Wege, die schon zum Ziel führten.

Der Weg, der meiner Meinung nach am vielversprechendsten ist, ist das Gespräch, das intensive Gespräch mit Personen, die Du aufforderst, Dich zu beschreiben. Denn Du wirst ihnen bei allem, was sie sagen, zustimmen. Oder Du wirst es verstehen, aber besser wissen. Oder Du wirst Dich umstimmen lassen.

Was wirklich geschieht ist meiner Ansicht nach, dass Du Dich eingehend damit beschäftigst, wer Du bist. Denn abgesehen von magischen Wegen, die den Wenigsten offen stehen, ist das der einzige Weg, den Doran wirklich zu finden.

Wo liegen die Schwierigkeiten? Nun, überall. Was könnte eine Seele daran hindern, sich selbst zu erkennen? Bedeutend ist, dass es nicht darum geht, wer jemand hätte sein können. Es geht auch nicht darum, wer er werden könnte. Es geht auch nicht darum, wie sie jemand selbst sieht oder wünscht. Es geht alleine darum, wer jemand ist in Bezug auf die Welt.

Es soll vorgekommen sein, dass jemand seinen Doran änderte. Doch profund fürwahr müsste dazu die Wandlung sein, die eine Seele durchläuft. Beinahe so sehr, dass es zwei Seelen sein könnten.

Nun bleibt noch die Frage, warum jemand überhaupt nach seinem Doran suchen sollte. Es hält weder den Regen ab, noch macht es warm oder satt. Man kann ein ganzes Leben führen, ohne je von der Existenz des Dorans zu erfahren, geschweige denn den Eigenen je zu ergründen.

Doch wenn man es tut, wenn man diese Erkenntnis findet und damit einen klaren Blick auf sich selbst, gewinnt man Gelassenheit und verliert die Zweifel. Zu einem Gutteil verliert man auch die Illusionen, die man sich über sich selbst gemacht hat. In schlimmen Fällen kann der Geist zerbrechen unter dieser Wahrheit. Doch das ist hoffentlich die Ausnahme.

Mir hat mein Name gezeigt, wer ich bin und wer nicht. Was ich von mir erwarten kann und was nicht. Wem ich mich stellen muss und wem nicht.

Ich selbst wurde mir gezeigt und erklärt. Nicht mehr und nicht weniger.

Ein Gelehrter, der seinen Namen sicherlich nicht niederschreiben wird