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''Die Zeit verflog, doch er merkte es kaum. Wo sonst sein Herz geschlagen hatte und ihm den Rhythmus des Lebens gegeben hatte, war jetzt [[nichts]] mehr. Er führte die Hand zum Gesicht, um zu fühlen, was von seinen Zügen noch übrig war. Er war kalt, wie das Mauerwerk, das ihn umgab. Doch richtig spüren konnte er es nicht, jede Empfindung war dumpf und grau geworden. Er stand auf und suchte etwas, indem er sich spiegeln konnte, fand eine Schüssel mit Wasser darin und erschrak. Die Veränderung war nicht zu leugnen, auch wenn sein nasses Spiegelbild ihm nur verzerrte Züge zeigen mochte. Es war eine Illusion zu glauben, er könnte weiter so tun, als wäre nichts mit ihm geschehen. Die wenigen Bartstoppel, die ihm aus den Wagen sprossen, waren überdeutlich in seinem bleichen Gesicht zu erkennen. Die Augen eingefallen in dunkle Höhlen, aschfahl und gräulich seine schlaffe Haut. Es half ja nichts. Er sah aus dem Fenster. Wand den Blick, um den [[Goldener Wagen|Goldenen Wagen]] zu betrachten.'' | {{Inhalt|Mitraspera|Lena Weber||2008}}''Die Zeit verflog, doch er merkte es kaum. Wo sonst sein Herz geschlagen hatte und ihm den Rhythmus des Lebens gegeben hatte, war jetzt [[nichts]] mehr. Er führte die Hand zum Gesicht, um zu fühlen, was von seinen Zügen noch übrig war. Er war kalt, wie das Mauerwerk, das ihn umgab. Doch richtig spüren konnte er es nicht, jede Empfindung war dumpf und grau geworden. Er stand auf und suchte etwas, indem er sich spiegeln konnte, fand eine Schüssel mit Wasser darin und erschrak. Die Veränderung war nicht zu leugnen, auch wenn sein nasses Spiegelbild ihm nur verzerrte Züge zeigen mochte. Es war eine Illusion zu glauben, er könnte weiter so tun, als wäre nichts mit ihm geschehen. Die wenigen Bartstoppel, die ihm aus den Wagen sprossen, waren überdeutlich in seinem bleichen Gesicht zu erkennen. Die Augen eingefallen in dunkle Höhlen, aschfahl und gräulich seine schlaffe Haut. Es half ja nichts. Er sah aus dem Fenster. Wand den Blick, um den [[Goldener Wagen|Goldenen Wagen]] zu betrachten.'' | ||
''Sehr bald schon musste die Alte zurück kehren, wie sie es jeden Tag zu tun pflegte. Hastig suchte er etwas, um sein Haupt zu verbergen, fand einen alten grünen Umhang mit tiefer Kapuze und hüllte sich darin ein. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrügt, ehe er sich’s versah, war er nicht mehr mit sich allein. Wie zu erwarten war er bald nicht mehr mit sich allein. Die Alte aber bemerkte seine Veränderung nicht, auch wenn sie für ihn mit jedem Augenblick spürbarer wurde, die Gefahr entdeckt zu werden immer höher. Auch wenn er sich Mut zu sprach, denn was sollte die Alte schon machen, wenn sie es herausfinden sollte, dieses knöchrige alte Weib, gegen ihn, der er jung und von kräftiger Statur war? Aber die Situation gefiel ihm nicht, mit jedem Tag weniger, und er schmiedete einen Plan, während er sich vor der Alten weiterhin verhielt als wäre nichts gewesen: Erst einmal die Tarnung aufrecht erhalten, dann alle Schriften lesen, verinnerlichen und nach Möglichkeit auch mitnehmen. Auf lange Sicht wollte er von diesem Ort fliehen, er musste von diesem Ort fliehen. Wer weiß wohin ihn sein neuen Kräfte führen würden? Er wollte endlich die Freiheit genießen, die er sein Leben lang ersehnt hatte. Er wollte sich ausprobieren. Seine Mächte, die Mächte des [[Nechathon]], auch wenn er noch immer nicht recht begreifen konnte, was genau das war. Aber er würde es herausfinden, er würde alles herausfinden und dann würde er frei sein, frei sein alles zu tun!'' | ''Sehr bald schon musste die Alte zurück kehren, wie sie es jeden Tag zu tun pflegte. Hastig suchte er etwas, um sein Haupt zu verbergen, fand einen alten grünen Umhang mit tiefer Kapuze und hüllte sich darin ein. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrügt, ehe er sich’s versah, war er nicht mehr mit sich allein. Wie zu erwarten war er bald nicht mehr mit sich allein. Die Alte aber bemerkte seine Veränderung nicht, auch wenn sie für ihn mit jedem Augenblick spürbarer wurde, die Gefahr entdeckt zu werden immer höher. Auch wenn er sich Mut zu sprach, denn was sollte die Alte schon machen, wenn sie es herausfinden sollte, dieses knöchrige alte Weib, gegen ihn, der er jung und von kräftiger Statur war? Aber die Situation gefiel ihm nicht, mit jedem Tag weniger, und er schmiedete einen Plan, während er sich vor der Alten weiterhin verhielt als wäre nichts gewesen: Erst einmal die Tarnung aufrecht erhalten, dann alle Schriften lesen, verinnerlichen und nach Möglichkeit auch mitnehmen. Auf lange Sicht wollte er von diesem Ort fliehen, er musste von diesem Ort fliehen. Wer weiß wohin ihn sein neuen Kräfte führen würden? Er wollte endlich die Freiheit genießen, die er sein Leben lang ersehnt hatte. Er wollte sich ausprobieren. Seine Mächte, die Mächte des [[Nechathon]], auch wenn er noch immer nicht recht begreifen konnte, was genau das war. Aber er würde es herausfinden, er würde alles herausfinden und dann würde er frei sein, frei sein alles zu tun!'' |
Version vom 22. Mai 2021, 21:07 Uhr
Spielwelt(en): | Mitraspera |
Urheber:innen: | Lena Weber |
Mitwirkende: | |
Jahr: | 2008 |
Die Zeit verflog, doch er merkte es kaum. Wo sonst sein Herz geschlagen hatte und ihm den Rhythmus des Lebens gegeben hatte, war jetzt nichts mehr. Er führte die Hand zum Gesicht, um zu fühlen, was von seinen Zügen noch übrig war. Er war kalt, wie das Mauerwerk, das ihn umgab. Doch richtig spüren konnte er es nicht, jede Empfindung war dumpf und grau geworden. Er stand auf und suchte etwas, indem er sich spiegeln konnte, fand eine Schüssel mit Wasser darin und erschrak. Die Veränderung war nicht zu leugnen, auch wenn sein nasses Spiegelbild ihm nur verzerrte Züge zeigen mochte. Es war eine Illusion zu glauben, er könnte weiter so tun, als wäre nichts mit ihm geschehen. Die wenigen Bartstoppel, die ihm aus den Wagen sprossen, waren überdeutlich in seinem bleichen Gesicht zu erkennen. Die Augen eingefallen in dunkle Höhlen, aschfahl und gräulich seine schlaffe Haut. Es half ja nichts. Er sah aus dem Fenster. Wand den Blick, um den Goldenen Wagen zu betrachten.
Sehr bald schon musste die Alte zurück kehren, wie sie es jeden Tag zu tun pflegte. Hastig suchte er etwas, um sein Haupt zu verbergen, fand einen alten grünen Umhang mit tiefer Kapuze und hüllte sich darin ein. Sein Gefühl hatte ihn nicht getrügt, ehe er sich’s versah, war er nicht mehr mit sich allein. Wie zu erwarten war er bald nicht mehr mit sich allein. Die Alte aber bemerkte seine Veränderung nicht, auch wenn sie für ihn mit jedem Augenblick spürbarer wurde, die Gefahr entdeckt zu werden immer höher. Auch wenn er sich Mut zu sprach, denn was sollte die Alte schon machen, wenn sie es herausfinden sollte, dieses knöchrige alte Weib, gegen ihn, der er jung und von kräftiger Statur war? Aber die Situation gefiel ihm nicht, mit jedem Tag weniger, und er schmiedete einen Plan, während er sich vor der Alten weiterhin verhielt als wäre nichts gewesen: Erst einmal die Tarnung aufrecht erhalten, dann alle Schriften lesen, verinnerlichen und nach Möglichkeit auch mitnehmen. Auf lange Sicht wollte er von diesem Ort fliehen, er musste von diesem Ort fliehen. Wer weiß wohin ihn sein neuen Kräfte führen würden? Er wollte endlich die Freiheit genießen, die er sein Leben lang ersehnt hatte. Er wollte sich ausprobieren. Seine Mächte, die Mächte des Nechathon, auch wenn er noch immer nicht recht begreifen konnte, was genau das war. Aber er würde es herausfinden, er würde alles herausfinden und dann würde er frei sein, frei sein alles zu tun!
Und so verlor er sich in Gedanken über die Zukunft, Tag für Tag, Woche für Woche im geheimen Studium der Schriften und im Dienst für die Alte Frau. Im Glauben, sie hätte nichts bemerkt. Sein Körper, der noch so jung und stark gewesen war, hatte ihn im Stich gelassen. Es war viel schneller gegangen als er erwartet hatte, es war furchtbar. Es war so weit, er musste sein Versteckspiel aufgeben, zu einem Fleischnäher gehen und damit seine Tarnung auffliegen lassen. Vielleicht würde der Fleischnäher nicht wissen, wer er war und ihn für einen einfachen Common halten, doch lange würde es nicht mehr dauern, bis auch etwas anderes als seine Schädeldecke das Fleisch verlieren würde. Erst war das Haar ausgefallen, jeden Tag ein Büschel mehr, und dann, als er einmal unbewusst darangefasst hatte, da war ihm die kahle, abgestorbene Kopfhaut in die Hände gefallen, trocken wie Papier in großen grauen Schuppen, sodass nunmehr nur noch der blanke Schädelknocken hervorlugte wie eine unheilige Tonsur.
Er nahm ein paar Schriften und einige Münzen, hüllte sich in den Kapuzenumhang, den er seit seiner Befreiung trug und schlich sich aus dem Haus. Auf direktem Weg begab er sich zu den Fleischnähern. Es war ein guter Zeitpunkt, denn der Silberne Wagen lag hinter Wolken verborgen und die Straßen lagen menschenleer in der nächtlichen Dunkelheit. Dennoch war ihm als müsste er sich von Haus zu Haus ducken, und hielt den Kopf tief gesenkt. Endlich angekommen, klopfte er an eine grobe Holztür und enthüllte sein Gesicht vor dem massigen Kerl mit der blutigen Schürze, der ihm auftat. Der Ladenbesitzer hatte gerade ein paar Lebenden die Haut des Oberschenkels abgezogen, um sie in einer Schale mit Flüssigkeit kurz einweichen zu lassen. Frisch und elastisch, so ... lebendig... unwillkürlich überkam Maite dieses Gefühl. Eine leise Sehnsucht nach der Kraft des Lebens, die er einmal selbst besessen hatte, bevor all dem was geschehen war, bevor ihm Haut und Haar ausgefallen waren und das Fleisch auf seinen Knochen grau und fahl geworden war. Wie gut, dass man hier alles ändern konnte!
Der Fleischnäher würde ihm bestimmt helfen können, dachte er noch gedankenverloren, sodass er kaum hörte, wie der Kerl sein Werk an dem letzten der Lebenden fortsetzte und an diesem auch noch ein richtig schönes Stück vom Schenkel abzog, hier und da ein gekonnter Schnitt, kurz angelöst am Rande und dann mit dem Haken beiderseits und einem schönen Ruck...! Da war es auch schon abgelöst, der edle Spender schrie wie ein abgestochenes Schwein, während die anderen, die neben ihm an Ketten von der Decke hingen, dass sie gerade den Boden noch berührten, nur noch leise wimmerten, einem von ihnen lief es gelblich das Bein hinunter und sie alle zitterten vor Entsetzen und Schmerz. Manche waren schon länger hier, und man hatte für schon hier und da ein Stückchen von ihnen zu barer Münze machen können: dem einen fehlte die gesamte Haut eines Armes von der Schulter bis zum Handgelenk , ein anderer hatte keine Lippen mehr, und noch eine der elenden Kreaturen war eine Frau, aber ihr hatte man die Brüste abgeschnitten und die schönsten Stücke aus ihrem Gesicht.
Während die Schreie noch anhielten, drehte sich der Fleischnäher wieder zu Maite um, wischte Messer und Hände an einem dreckigen Tuch ab und als er sich nun Zeit nahm, seinen neuen Kunden zu begutachten, da begann er zu schimpfen und zu fluchen: ”Heiliger Garvan, wie siehst du denn aus? Ein Wunder, dass noch keine Maden aus deiner Nase kriechen! Könnte ich riechen, ich könnte dich aus hundert Längen Entfernung aufspüren. Meinst du eigentlich, ich und meine Gesellen, wir hätten nichts Besseres zu tun als faulen Säcken wie dir eine Körper-Komplett-Erneuerung zu verpassen, bloß weil ihr zu faul und geizig seid, euch rechtzeitig zu den Fleischnähern zu bequemen, hm?!”, er sah Maite von oben bis unten an und schien gleichzeitig beeindruck wie schockiert. In einem etwas gemäßigten Ton fuhr er fort: ”Wie hast du es geschafft, in so einem Zustand so lange zu warten, bis du her gekommen bist? Naja, das kriegen wir schon wieder hin... Vielleicht zieh’ ich gleich noch ne frische Kopfhaut ab, mal sehen, wie das Frischfleisch das heute noch verträgt.”, er schlug sich auf die Schürze und lachte. Im Hintergrund verebbten die Schreie zu einem jammervollen Schluchtzen.
Der Fleischnäher begann mit seinem Werk. Was dann geschah, war so schmerzhaft, wie nichts was Maite je zuvor erlebt hatte und die Prozedur kostete ihn all seinen Besitz, bis auf die alte Kleidung, die er trug. Er schwor sich, so etwas würden ihm niemals wieder passieren. Es gab genug Schriften, die minutiös beschrieben wie man den eigenen toten Körper mit Tinkturen und Lotionen pflegte und frisch hielt. Er hatte sich etwas vorgemacht, die ganze Zeit sich selbst belogen. Das, was er jetzt war, zwang ihn dazu sie zu nutzen, sich zu balsamieren und zu pflegen und zu pafümieren. Er wollte gut riechen, gut aussehen und gut gekleidet sein wie jeder Mann in seinem Alter - er wollte umschwärmt werden, geliebt und geachtet. Er wollte sich nicht mehr verstecken, sich nie mehr verbergen müssen.
Mit diesem Entschluss, betrat er die Ländereien seiner Kindheit. Nachdem er alles geklärt hatte, was noch zu klären war, sofern es ihm noch möglich war, betrachtete er wie das Wasser, mit dem er sich gerade die Hände abgewaschen hatte, auf die Erde tropfte. Er ging zurück in das Haus, entledigte sich seiner Lumpen und nahm die guten Gewänder des Hausherren an sich. Es waren Leinengewänder in natürlichen Farben, wie für sein Volk üblich. Besonders freute ihn der kurze Umhang aus grünem Samt, den er in einer Truhe fand. Dass dieser keine Kapuze hatte störte ihn nicht. Als er das Haus verlassen hatte, lies er es mithilfe seiner Kräfte einstürzen und in Flammen aufgehen. Mit einer schwarzen Rauchsäule im Rücken, zog er von dannen. Auf dem Weg an einen Ort, an dem er sich ausprobieren konnte. So lief er los. Erst Richtung Norden durch die Karla-Berge, dann nach Westen. Er ließ das mittlere Gebirge immer rechter Hand liegen. Er wusste wo er hin wollte. Ein kleiner Ausläufer des Zentralmassivs, der zwischen den Einflussgebieten des westlichen und des nördlichen Archons lag war sein Ziel. Dort war vor nicht allzu langer Zeit eine kleinere Schlacht gewesen. Aufgrund der Entfernung zu Terra Ankor wären die Körper dort noch nicht bei den Fleischnähern gelandet. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemand bestattet hatte hielt er ebenso für gering- denn die aufwühlenden Ereignisse anderorts hatten die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die lange Strecke machte ihm nichts aus. Er vergaß Zeit und Tag.