Spielwelt(en): | Mitraspera |
Urheber:innen: | Kathrin Kohlmann? |
Mitwirkende: | weitere Autor:innen |
Jahr: | 20? |
Paolos zweiter Frühling
Müde saß der große Entdecker am Ecktisch seiner eigenen Taverne und gönnte sich einen langen Schluck Met. Vor ihm standen die Reste seines Abendmahls und es schien ihm, als drängten sich hinter seinen Schultern die Schatten all derer, die er über die Jahre enttäuscht hatte zusammen, um ihn zu erdrücken. Einst war er mit großen Versprechungen und noch größeren Träumen aufgebrochen, hatte eine neue Welt entdeckt und war von deren Göttern als Heilsbringer gefeiert worden. ’Geliebtes Kind der Elemente’ hatten sie ihn genannt. Reich war er geworden. Berühmt war er geworden. Aber auch einsam und die Zeit nagte unerbittlich an seinen Knochen. Die Jahre waren zu schnell verstrichen und das Erlebte hatte tiefe Linien in seinem Gesicht hinterlassen. Linien des Schmerzes und der Enttäuschung. Er leerte den Becher mit einem zweiten Schluck , griff nach dem Tonkrug und schenkte sich nach. Seine Bewegungen wirkten erschöpft, doch war er den ganzen Tag, wie auch die letzten, nur selten von seinem Tisch aufgestanden. Doerchgardt mochte gefallen sein, doch während draußen der Winter Porto Armatio fest im Griff hatte, wurde der alte Seebär zusehends trübsinnig und mürrisch. Und es wurde von Jahr zu Jahr schlimmer. ”Herr?“ drang zaghaft die Stimme seines Pagen Potrick durch den Lärm. ”Herr Armatio? Ich... uhm... glaube, das wird Euch interessieren.“ Paolos schweifender Blick blieb an dem Stück Pergament hängen, welches ihm Potrick entgegen streckte. ”Was soll das sein?“ fragte er griesgrämig. ”Ihr sagtet, ich solle euch sofort informieren, sobald etwas... uhm... Außergewöhnliches aus dem Süden eintrifft.“ ”Assansol ist befreit? Seine Stimme klang fragend, doch sein Blick zeigte kaum Interesse. ”Nein Herr, keine Veränderung dort. Es kommt von meinem Vetter Edward aus der... uhm... Grauen Stadt.“ Potrick zögerte und blickte kurz zum nächsten Tisch an dem zwei Gildenmänner lautstark Karten spielten. ”Er hat etwas... uhm... gefunden, Herr.“ ”Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Junge! Heraus damit!“ ”Nun... uhm... kurz vor dem Fall Assansols gelang es einigen Gelehrten der Nyame Aysa, Terra möge über ihre Seele wachen, ein paar Kisten voller Dokumente und Aufzeichnungen aus der Zeit vor der Öffnung des... uhm... südlichen Siegels in Sicherheit zu bringen. Viel davon stammt noch aus der Zeit, als nur die Edalphi am Siegel lebten.“ Potrick machte erneut eine Pause, trat etwas näher und fuhr so leise wie es die Umgebung erlaubte fort. ”Sagen wir so, Herr... uhm... Archon Tuachals Augenmerk liegt mehr auf der Verwaltung der Provinzen und der Rückeroberung Assansols als bei Schriftstücken. Und seid Aysa... uhm... nun... vermutlich hat deswegen bis heute keiner diesen Text...“ Ungeduldig beugte sich Paolo über den Tisch und nahm das Pergament herrisch an sich. ”Die... uhm... Übersetzung findet ihr auf der unteren... uhm... Hälfte des...“ ”Ich bin alt, nicht blind, Potrick.“ unterbrach ihn Paolo ohne aufzublicken. ”Setz dich, trink einen Becher Met und lass mich das lesen.“ Sein Blick war starr auf die Zeilen des Pergaments gerichtet und ganz plötzlich von einer Klarheit und Konzentration erfüllt, die der junge Mann lange nicht gesehen hatte. Er schenkte sich wie befohlen ein, trank jedoch nicht davon. Deutlich unwohl blickte er erneut zum Nebentisch. Dem Anschein nach schenkte ihnen noch immer niemand Beachtung. Potrick setzte ein paar Mal an, brach ab, und stellte schließlich fest: ”Es handelt sich hierbei scheinbar um die... uhm... zweite Prophezeiung des Orakels des Südens, Herr.“ ”Soweit bin ich auch schon, Junge.“ ”Sie ist echt, Herr?“ Paolo senkte das Pergament, hob den Blick und Potrick konnte ein Funkeln in seinen Augen erkennen. ”Sieht ganz so aus, Potrick. Wir müssen uns bei Tuachal ausdrücklich für diese Leihgabe bedanken und ihm schnellst möglich eine Abschrift... ich meine das Original zukommen lassen!“ ”Natürlich, Herr.“ ”’Endlos der Krieg, den ihr Sohn nun entfacht’, intonierte Paolo mit tiefer Stimme. ”’... auf der Welt, kaum geheilt von den Flammen der Tochter. Sie kommt. Sie kommt! Der Schmerz ist erwacht.’ “ Nachdem er geendet hatte begegnete sein Blick Podricks. ”Ich glaube uns stehen interessante Zeiten bevor. Andere mögen dies als Fluch betrachten...“ fuhr er fort, ein Lachen in der Stimme. ”Doch nicht Paolo Armatio, der große Entdecker.“ Zwar hatte er die letztenWorte laut ausgerufen, jedoch schien er sich der Aufmerksamkeit der anderen Gäste nicht bewusst als er sich erhob. Während der alte Seemann in den letzten Monaten und Jahren immer schwermütiger und träger geworden war, schien er heute seinen alten Entdeckergeist zurück gewonnen zu haben, den seine Gefährten so lange vermisst hatten. ”Auf auf, Potrick... wir müssen eine Expedition vorbereiten.“ Mit langen Schritten wandte er sich der Tür zu, warf sich seinen Mantel über die Schultern und schien erst dann zu bemerken, dass sein Page noch nicht an seiner Seite war. ”Na los, Junge! Das Schicksal wartet nicht auf unsereins. Wir haben eine Prophezeiung zu erfüllen. Und ich weiß genau, wo wir damit anfangen.“ Plötzlich schien ihm bewusst zu werden, dass inzwischen die meisten Gespräche verstummt., und alle Augen im Raum auf ihn gerichtet waren. ”In der Tat, stellte er laut fest, an niemanden im Besonderen gerichtet. ”Es wird Zeit ein letztes Mal zu neuen Ufern aufzubrechen. Wir fangen in Habanas Wacht an, unsere Expedition zu planen und dann... im Sommer... auf zum Goldenen Wagen! Mein alter Freund Fileas braucht meine Hilfe, und wer wären wir von der Gilde, wenn wir nicht ein Tänzchen mit dem Tod persönlich wagen würden?“ Sein bäriges und raues Lachen dröhnte laut durch die Taverne als er die Tür aufriss und nach draußen stürmte. Potrick eilte ihm hinterher und zurück blieb ein Schankraum voll Gildenherren und Reisender die alle ihre zuvor geführten Gespräche vergessen hatten und nun lautstark darüber diskutierten, was sie eben miterlebt hatten. Wie ein Lauffeuer sprach sich die Geschichte herum, auch wenn scheinbar keiner so recht wusste, was wirklich geschehen war, oder was Paolo denn nun genau gesagt hatte. Irgend etwas hatte ihm neuen Tatendrang verliehen, darin waren sich alle einig. Und das letzte Mal, als er diesen verspürt hatte, war kurz darauf eine neue Welt von ihm entdeckt worden...