Spielwelt(en): | Mitraspera |
Urheber:innen: | Olav Möhring |
Mitwirkende: | Christian Wagner |
Jahr: | 2015 |
Philosophische Betrachtung von Gerechtigkeit in einer Gemeinschaft
Sendschreiben des Exar Charon an die höchst ehrenwerte Gesellschaft der Ersten Morgenröte betreffend ihren Vorschlag seiner Person für die Würden eines Archons im südlichen Verwaltungsbezirk:
Werte Gleichgesinnte und Mitdenker,
Ihr habt es für richtig erachtet, mir ein hohes Amt anzutragen – nicht zum ersten Male, wie ich feststellen darf – und auch wenn ich zugeben muss, dass mich Euer Vertrauen schmeichelt, so muss ich doch auch dieses Mal das Angebot höflichst ablehnen.
Bei der letzten derartigen Gelegenheit beließ ich es bei einer Antwort ähnlichen Umfanges und wurde im Nachhinein dafür gerügt. Übermäßige Ichbezogenheit wurde mir vorgeworfen und eine Missachtung der Pflicht des Einzelnen für die Gemeinschaft.
Doch ist es genau das Gegenteil, was mich zu dieser Entscheidung bringt, nämlich die völlige und vorbehaltslose Anerkenntnis meiner Pflicht für die Gemeinschaft.
Was nämlich ist eine Gemeinschaft überhaupt? Sicherlich ist sie kein Grundprinzip, zu dem jedwede Schöpfung von sich aus drängt, sondern muss erzeugt werden über Widerstände und Widrigkeiten hinweg. Wer mir hier nicht zustimmen mag, möge sich eine Zusammenstellung der Ereignisse die Interaktion unserer Völker betreffend vornehmen und sie studieren. Ich empfehle hier als Beispiel Tereotakis ‚Vom Streben nach Bedeutung'.
Allen anderen stelle ich den Gedanken vor, dass eine Gemeinschaft gewissermaßen gewollt werden muss. Und wie alles, das erschaffen wird, was ein Werk ist, kann eine Gemeinschaft besser oder schlechter gelingen.
Ich hege keinen Zweifel daran, dass eine solche Gemeinschaft auf mehr als einer Säule ruht. Unabdingbar ist da zunächst der Wille oder die Bereitschaft, sich als Teil von etwas zu verstehen. Das mag man beinahe als zu naheliegend bewerten, um es überhaupt zu nennen. Dennoch darf man diese wichtige Bedingung bei allen Überlegungen, die Gemeinschaft betreffend nicht vernachlässigen.
Diese Bereitschaft aber endet sofort, wenn der Einzelne in der Gemeinschaft die Gerechtigkeit vermisst. Nur dort ist der Einzelne bereit, in der Zusammenarbeit sich zu ergehen, wo er angemessen und unparteiisch mit Zusammenarbeit dafür belohnt wird.
Denn dies ist der einzig wahre Grund dafür, dass es eine Gemeinschaft geben kann: Dass der Nutzen jedes Einzelnen über den Zeitraum seiner Zugehörigkeit größer ist als die Kosten. Und da es immer solche gibt, die aus etwas einen höheren Nutzen ziehen als andere – sei es wegen besonderer Talente oder aus inneren oder äußeren Umständen – muss es auch immer jene geben, die aus einem Willen heraus oder durch die Umstände dazu gezwungen mehr geben, als ihnen die Gemeinschaft zurückzugeben in der Lage ist. Jene aber, die im höheren Maße in die Gemeinschaft ihre Energie einbringen, als es für den eigenen Nutzen notwendig wäre, verdienen unseren höchsten Respekt.
Selbstverständlich ist es eine moralische Verpflichtung all jener, die besonderen Gewinn aus einer Gemeinschaft ziehen, sich in besonderem Maße auch für diese stark zu machen. Dies jedoch ist lediglich eine Ausprägung des Diktats von Geben und Nehmen. Dort dagegen, wo der Einzelne lediglich die notwendigen Mittel, Kenntnisse oder auch nur den Willen hat, die Gemeinschaft zu stärken, zu verbessern, ohne dass es ihm persönlich nutzt, haben wir es mit einem wahrhaft seltenen Individuum zu tun.
Erlaubt mir, noch einmal zurückzukehren zum Begriff der Gerechtigkeit. Wie ich bereits ausführte, ist die Gerechtigkeit das Werkzeug, das die zentrale, die wichtigste Säule eines Willens zur Gemeinschaft leicht zerbrechen kann, nämlich wenn sie nicht da ist oder als fehlend angesehen wird. Die Gerechtigkeit vermag es aber im Gegenzug natürlich auch, diese zentrale Säule zu kräftigen, zu stärken, die Gemeinschaft sogar über Hürden und schwierige Zeiten hinweg zu bringen, solange sie als gut und richtig und stark empfunden wird.
Gerechtigkeit ist demnach die erste, die wichtigste Pflicht einer Gemeinschaft und die Herztugend eines jeden Mitgliedes. Gerechtigkeit ist der Boden, auf dem Moral, Ethik, Gerichtsbarkeit, auf dem letztendlich die gesamte Ordnung ruht. Gerechtigkeit ist der Schlüsselstein eines jeden Zusammenlebens.
Ich könnte ganze Bände damit füllen, Beispiele zu geben, doch erlaubt mir hier wenigstens einige wenige:
Besehen wir uns den Ältesten einer Familie. Hat er nicht am längsten von allen seinen Teil für diese Gemeinschaft geleistet? Hat er nicht die Weisheit und das Wissen, das ihn besser als alle anderen tauglich dafür macht, die Geschicke der Familie zu lenken? Ist es da nicht gerecht, dass es seine Aufgabe ist, genau dies zu tun? Genauso ist es mit uns und den minderen Rassen. Sind nicht wir die weisen, die wissenden Väter? Sind nicht sie nichts anderes als das Ergebnis unserer Arbeit, alleine nicht lebensfähig und verloren ohne unsere Leitung und Hilfe? So ist es nur gerecht, dass es uns obliegt, sie zu führen mit starker oder sanfter Hand, ganz wie es notwendig ist. Und für diesen Dienst im Sinne der Gemeinschaft zwischen uns und ihnen schulden sie uns den gerechten Lohn durch ihre Dankbarkeit, ihre Hingabe und Treue.
Betrachten wir uns den Archon eines Verwaltungsgebietes. Was sollte ihn ausmachen? Sollte es der reichste Mann sein, der diesen Posten bekommt? Es wäre wohl gerecht, dass der reichste Mann der Gemeinschaft dient, so gut er es vermag. Doch ist Reichtum wirklich die Tugend, die wir uns für jemanden auf einem solchen Posten wünschen?
Dann vielleicht der Mann, der das meiste Ansehen genießt. Doch was ist Ansehen anderes als die Folge davon, anderen möglichst gut nach dem Munde reden zu können?
Am Ende – und dass auch Ihr dies gesehen habt, beweist Euer Vorschlag - braucht es einen Mann, der viele andere Eigenschaften und Gaben besitzen sollte, der aber vordringlich gerecht ist.
Gerecht kann man meiner Überzeugung nach nicht halbherzig sein. Entweder man ist es, oder man ist es nicht. Gerechtigkeit ist nicht relativ. Gerechtigkeit ist – anders als Gemeinschaft – ein Absolutum. Wenn man sich ihm unterwirft, so muss man es vollständig tun. Und dies ist mein innerstes, mein tiefstes Bestreben: Absolute Gerechtigkeit.
Unsere Gemeinschaft ist keine ideale. Nichts beweist dies so sehr wie die Tatsache, dass wir ein Amt wie das des Archons haben. Eine ideale Gemeinschaft würde keines Mannes mit besonderer Macht bedürfen. Unsere Gemeinschaft ist trotz all unseren Bemühen nicht ohne Fehler, weil unsere Schöpfer die Gerechtigkeit in einem hohen Maße vermissen lassen. Die Zeitlosen kennen keine Moral. Den Ewigen gelten Eifersucht und Eigennutz als Tugenden. All dies spiegelt sich in ihrer Schöpfung, die frei von Gerechtigkeit oder Moral ist, die keine Tugenden kennt, die ich als solche bezeichnen würde.
Wir alle sind ein Teil dieser Schöpfung, haben in uns ebendiese Fehler. Doch haben wir auch einen freien Willen, der es uns ermöglicht, über die Beschränkungen unserer Herkunft hinauszuwachsen. Doch dies erfordert Mut, einen festen Willen und Opferbereitschaft. Denn wenn wir wahrhaftig über die Beschränkungen unserer Anlagen hinauswachsen wollen, müssen wir dazu uns selbst all die Bürden auferlegen, die uns die Ewigen nicht auferlegten.
Stäbe und Banner der Macht sind Geschenke der Ewigen an ihre Kinder, sollen es uns ermöglichen, ihre Schöpfung besser und nachhaltiger zu bewahren. Es ist nur gerecht, diese Geschenke zu achten und zu ehren. Es ist nur gerecht, die zu achten und zu ehren, die diese Würden erringen.
Doch absolute Gerechtigkeit, die höchste Erfüllung aller Tugenden, lässt sich durch sie nicht erringen. Im Gegenteil. Allein durch ihre Existenz wiedersprechen sie dem Gedanken einer absoluten Gerechtigkeit. All diese Geschenke der Ewigen tragen in sich den Makel ihrer Schöpfer, deren Moral für ihre Gemeinschaft auszureichen scheint, für die unsere jedoch nicht.
Wo also ein Einzelner nach der vollkommenen Gerechtigkeit strebt, nicht aus Geltungssucht, sondern weil er sich als Diener der Gemeinschaft versteht und verstanden hat, dass eine ideale Gemeinschaft nur über eine absolute Gerechtigkeit herzustellen ist, so kann und darf er auf seinem schweren Weg nicht dem Drang nachgeben, einen solchen Stab der Macht und das damit verbundene Amt anzunehmen, ganz gleich, ob ihn Geltungssucht antreibt oder der Wille, der Gemeinschaft zu dienen.
Denn dieser Dienst als Archon, so wertvoll er ist, dient bestenfalls dazu, die Gemeinschaft zu bewahren. Er macht sie nicht besser, er macht sie nicht stärker.
Die Aufgabe aber, der ich mich stelle, der ich mich unterworfen habe, geht darüber hinaus. Mein Dienst ist vielleicht nicht so mit Ehrungen verbunden. Doch wenn ich am Ende Gerechtigkeit gebracht und der Gemeinschaft dadurch gedient habe, so soll es mir Lohn genug sein.
Und damit ist alles gesagt, was gesagt werden musste.
Nun, da ich mich Euch in dieser Weise offenbart, wo ich meine innersten Bedürfnisse Euch aufgezeigt habe, hoffe ich sehr, dass Ihr die Größe meines Vorhabens erkennt und mich fürderhin mit derartigen Ehrungen – so gut sie denn auch gemeint sind und so sehr ich wohl auch dafür geeignet wäre, einen solchen Posten in gerechter Weise auszufüllen - verschont.
Bitte behandelt dieses Schreiben vertraulich. Es ist dem Respekt geschuldet, den ich für Euch empfinde. Ich möchte nicht, dass sich alle Welt den Mund darüber zerreißt wie damals bei Ahat.
In der Hoffnung auf weiteren erhellenden Austausch verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung,
Exar Charon