Eine Reportage von Martha Salvata, freie Autorin
Gestern war es soweit, ein trauriges, kurzes Leben ging zu Ende. Man kann nicht sagen, es kam unerwartet, auch wenn es am Schluss schnell ging. Man fand Georgus H.*, kaum erwachsen, fast noch ein Kind, gestern früh in dieser kalten Winternacht erfroren unten am Bach.
Georgus, so sagt seine Mutter, war nie ein einfaches Kind. Ja er scheint schon früh seinen eigenen Kopf gehabt zu haben, das Risiko zu suchen. Schon als kleines Kind kam er oft zerkratzt und blutend nach Hause, weil er vom Baum fiel, auf den er kletterte, aber nicht mehr herunterkam oder weil er sich mit Nachbarskindern prügelte. Schon früh sah man ihn mit den großen Jungs, denen vor denen sonst alle Angst hatten, selbst seine Mutter. Mit noch nicht einmal 10 Jahren tauchte er zum ersten Mal mit einem Vollrausch zu Hause auf. Damals versprach er, während er sich erbrach, sich nie wieder zu betrinken; es hielt 5 Tage... Seine Mutter war verzweifelt, wußte nicht, ob es besser wäre mit Härte oder Zuneigung zu reagieren. Wie oft sie zur Wache ging, um ihren Sohn abzuholen, wenn er wieder etwas angestellt hatte, das konnte sie schon bald nicht mehr zählen.
So wurde aus einem schwierigen Kind allmählich ein Jüngling, der einen direkten Weg auf die Schiefe Bahn einschlug. Immer öfter sah man ihn in den Spelunken der Stadt, und noch öfter unten vor der Brücke herumstehen, mit seinen Freunden, billigen Fusel trinkend und rauchend. Seine Mutter warf ihn hinaus, brach den Kontakt mit ihm ab, und nahm ihn doch wieder auf, wenn er obdachlos und bettelnd in den Straßen gefunden wurde, immer wieder und wieder.
Bald war er in ganzen Stadt als Trinker bekannt, als sein Leben eine neue Wendung direkt ins Verderben nahm: Irgendwann im letzten Sommer war es, da fiel er auf, als er vor einer Taverne, aus der er hinausgeworfen wurde so sehr zum Randalieren anfing, dass er mehrere Gästen sowie Passanten verprügelte, und selbst den herbeigeeilten Wachen noch Knochenbrüche zufügte. Er konnte in der Nacht entkommen und wurde erst am nächsten Morgen von einer Waschfrau weinend unten am Bach gefunden. Die Wachen griffen ihn auf, und steckten ihn ins Verlies, und auch dort fiel er auf: Mehrfach machte er die ganze Nacht Lärm, einmal gelang es ihm sogar, das innere Gitter aus der Wand zu reißen. Nur das Äußere verhinderte noch, dass er entkommen konnte. Morgens fand man ihn dann in sich zusammengesunken in der Zelle sitzen, an der Wand Kritzeleien, dass er allem ein Ende machen wolle. Schließlich wurde er entlassen und seiner Mutter zurückgebracht, die ihn erst aufnahm, als er ihr hoch und heilig versprach, dass er mit dem Trinken aufhören würde. Und was niemand glaubte: Er hielt sich sogar daran. Doch es war nicht zu seinem Besten, denn er war längst ein "Schniefer". Niemand weiß, wo es herkam, aber plötzlich gab es sie in den dunklen Gassen Holzbrücks, die dunklen Gestalten, die flüsterten: "Brauchst Du was?". Auch Georgus war manchmal unter ihnen, wenn er blank war. Aber er war wohl selbst sein bester Kunde. Erst mit Georgus' Tod und den Ermittlungen danach wurde klar, was ihn soweit trieb. Doch es ist bis heute nicht klar, wie er an das Tirolit herankam. Jedoch scheint er sogar im Verlies daran herangekommen zu sein.
Sie Stadtwache ging dazu über, ihn und seine Kumpane abends aus der Stadt hinauszujagen, damit sie keinen Ärger machten, denn nun war er mit seinen Kumpanen abends entweder euphorisch grölend, Frauen belästigend und zu Ärger anstiftend unterwegs, oder aber er fing an zu betteln und die Leute zu bedrängen. Mehrfach brach er zu Hause ein, seine Mutter hatte ihn nun endgültig hinausgeworfen, und stahl Kleingeld und einige der wenigen Wertgegenstände, die sie besaß. Doch sie ging erst zur Wache, als er den Ehering, den sie als Andenken an ihren Gemahl, der in den Kriegen gegen den Untod gefallen war, mitgenommen hatte. Doch da war es nur noch eine Woche bis zu Georgus' Tod.
Morgens wenn die Tore offen waren, wurde er wieder in die Stadt gelassen, dann meinst ein Häufchen, Elend, die Augen eingefallen, mit dunklen Ringen. Entweder hockte er nur reglos in einer Ecke, oder er bettelte. Manchmal kümmerten sich die Schwestern um ihn. Ihnen erzählte er von diesem Gefühl, der König der Welt zu sein, wenn das Tirolit durch sein Blut rauschte, wie es ist, sich unsterblich zu fühlen, wie es ist, keinen Schmerz zu fühlen, wie es ist, bei einer Frau zu sein, die in demselben Rausch schwebt wie er selbst. Er zählte aber auch von der Zeit danach, wenn alles zusammenfällt, wenn plötzlich der Schmerz zurückkommt, von den Verletzungen, die er sich im Rausch zugezogen hatte, wie die Verzweiflung einsetzt, und die Finsternis der Seele, der einzige Wunsch der bleibt, der ist, allem ein Ende zu machen - oder der, den nächsten Schniefer zu nehmen.
Doch auch die Schwestern ließen von ihm ab, als er eine von ihnen im Rausch des Tirolit zu fassen bekam. Sie konnte entkommen, aber erst hinterher und auch sie ging nie zur Wache, so dass er auch für diese Tat (
) nie ins Verlies kam. Die Schwestern jedenfalls kümmerten sich nun auch nicht mehr um ihn, und so blieben ihm nur noch seine Schniefer-Kumpane. Doch auch die wurden weniger im Winter.
Die letzten Tage vor seinem Tod sah man ihn meist allein und frierend am Bach hocken, wieder trinkend, denn fürs Schniefen hatte er längst kein Geld mehr und niemand seiner Kumpane gab ihm noch Kredit. Einmal muss er noch was bekommen haben, denn am Vortag seines Todes wurde er nochmal gesehen, eine abgemagerte Gestalt, eingefallene Augen und in Lumpen gehüllt, kaum zur Artikulation fähig, aber aggressiv und plump Frauen belästigend. Die Wache warf ihn unter Einsatz von 5 Mann hinaus, und am nächsten Morgen fand man ihn erfroren am Bach liegen.
Erst als nach seinem Tod auf Drängen seiner Mutter untersucht wurde, was geschah, kam heraus, dass es das Tirolit war, das ihn zugrunde gerichtet hatte. Man setzte die wenigen Kumpane von ihm, die noch in der Stadt waren im Verlies fest, doch niemand fand heraus, wo das Tirolit, das man ja innerhalb weniger Tage verbrauchen muss, nun eigentlich herkam. So bleibt Georgus' Tod ein Zeichen für diese neue Zeit, in der alles möglich scheint, doch für manche doch nur der Weg in den Abgrund offen scheint.
*) Name von der Redaktion geändert