Spielwelt(en): | Mitraspera |
Urheber:innen: | Anne Wagner, Christian Wagner |
Mitwirkende: | - |
Jahr: | 2015 |
Mein lieber Freund,
wie ich es versprochen habe, sende ich Dir Kunde von dem, was mir in der Zeit unserer Trennung widerfährt.
Vater und Mutter verabschiedeten mich mit vielen guten Worten, aber auch Ermahnungen, was für ein Privileg es für mich ist, dass ich bei einem berühmten Herrn wie Exar Charon studieren kann.
Die Reise war ereignislos und damit besonders quälend. Beständig musste ich daran denken, was wohl geschehen würde, wenn ich den Anforderungen des großen Mannes nicht genügen würde. Du weißt ja, was mit Kekirni geschehen ist, und wie man sie nachher geschnitten hat. Das durfte mir nicht geschehen!
Das Haus des Meisters – das ist, wie wir ihn nennen sollen – liegt am Hang eines Berges über einem fruchtbaren Tal. Das Tal ist geschäftig vom Treiben seiner Diener, ordentlich und wirkt wohlhabend. Sein Haus ist ein imposanter Bau aus hellem Stein, gewaltig in seinen Dimensionen, bestimmt vier Mal so groß wie das Haus meiner Familie.
Eine ältere Schülerin hieß mich willkommen, wenn man es so nennen möchte. Sie war recht kühl. Sie ist eine Ca-jar und heißt Lianna. Die Schülerin führte mich zu meiner Unterkunft, die mich ehrlich erstaunte. Ich habe mehrere Räume zur Verfügung, alle sind lichtdurchflutet und blicken hinaus auf das Tal. Es gibt einen Springbrunnen in einem Raum und eine in den Boden eingelassene Wanne voller warmem Wasser. Selbst daheim wohne ich nicht so gut.
Beim Essen lernte ich die anderen Schüler des Meisters kennen. Ich erfuhr, dass von jedem Volk immer nur einen zur gleichen Zeit annimmt. Alles andere wäre nicht gerecht. Den Meister selbst habe ich nicht gesehen. Lianna und ein anderer Schüler, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe, erklärten mir die Regeln für meine Zeit im Haus. Es gibt viele Regeln.
Sie erklärten mir auch, dass der Meister gar nicht mehr oft in seinem Haus ist, sondern an einem anderen Ort, über den sie mir noch nichts verraten wollten. Ich würde es früh genug sehen, sagten sie. Das klingt alles sehr geheimnisvoll.
Man hieß mich, am Abend präsentabel zu sein, ohne mir zu sagen, um was es ging. Wie sich herausstellte, gab es eine große Audienz für die Diener aus dem Tal. Es gibt an einer Seite des Hauses eine Terrasse, von der viele Stufen auf eine Art Plateau herabführen. Auf der Terrasse steht ein großer Stuhl aus Stein und Gold auf einem mannshohen Podest. Auf diesem Stuhl saß der Meister. Er sah beeindruckend aus in seinen Prachtroben und angestrahlt von allerlei Lichtern.
Wir Schüler nahmen am Fuß des Podestes in einer Reihe Aufstellung. Unten, auf dem Plateau, versammelten sich die Diener Exar Charons aus dem Tal unter freudigem Gesang. Einige Männer unter ihnen mit auffälligem Kopfputz sprachen zu ihnen und ihnen vor. Alle priesen gemeinsam ihren Herrn, seine Weisheit und Gerechtigkeit. Dann stellten die Vorsprecher der Reihe nach uns Schüler vor, mich zum Schluss, weil ich der Neue war.
Jedes Mal haben die Diener sich niedergekniet und die Gottschöpfer gepriesen. Ich habe ähnlichen Gelegenheiten ja schon tausendfach daheim beigewohnt, aber als ich selbst an der Reihe war, das war völlig anders. Ich bin mir nicht sicher, wie ich es beschreiben soll. Es war, als ob ich zum ersten Mal wirklich darauf gehört hätte, was die Diener sagten. Es war, als ob ihr Vertrauen in mich als Mitglied eines Schöpfervolkes mich selbst wachsen ließ. Ich kann es nicht besser ausdrücken. Es fühlte sich jedenfalls gut an. Vielleicht, wenn ich es besser verstehe, kann ich Dir mehr darüber berichten.
Danach ist der Meister sehr schnell wieder an seine Arbeit gegangen. Ich hatte bisher noch gar keine Möglichkeit, ihn zu begrüßen und mich für die große Ehre zu bedanken. Lianna sagt, dass ich bald die Gelegenheit dazu bekommen werde. Bevor er an diesen geheimnisvollen anderen Ort geht, ruft er wohl immer seine Schüler zusammen, damit sie ihm huldigen. Huldigen. Das ist, was sie gesagt hat. Ich habe nicht die geringste Idee, was sie damit meint.
Jedenfalls ist dies nun meine erste Nacht hier in meinem neuen Heim. Ich habe noch keine echten Bekanntschaften geschlossen, aber das wird wohl noch werden. Keiner wird mir jedoch jemals ein so guter Freund werden können wie Du. Ich vermisse unsere gemeinsamen Ausflüge in die Berge.
Ich hoffe, dass Dich diese Nachricht in bester Verfassung antrifft. Schreib mir bald, wie es Dir in Terra Ankor ergeht.
Auf bald,
Dein Freund Cherbid