Spielwelt(en): | Kelriothar |
Urheber:innen: | Anne Wagner, Christian Wagner |
Mitwirkende: | - |
Jahr: | 2015 |
Philosophische Erwägungen zum Konstrukt der Goldrüstung
Aufzeichnungen des Protokoll-Ouai Kwualin Octal, ergebener Diener des Gottschöpfers Exar Charon
Vermerk: Enthält sehr persönliche Gedanken und darf nicht in ein öffentliches Archiv.
Sim Sin'Karaleth hat großes Interesse an den Konstrukten gezeigt, die uns die erbärmlich Furchtsamen und die schändlichen Verräter entgegen gesandt haben. Sie glaubt, deren innere Fehler vermeiden zu können und ist geradezu vernarrt in den Gedanken, bei der Öffnung des Tores ganze Armeen von eigenen Konstrukten zur Verfügung zu haben, um die Armeen der alten Welt abzuwehren und ihre Herrscher zu zwingen, uns anzuhören. Ich muss ihr zustimmen. Zwar stellen die Xerikane keine sonderlich elegante Arbeit dar, doch als Werkzeuge sind sie ansonsten zumindest tauglich, um uns gegen die heimtückischen Angriffe unserer eigenen Schüler zu verteidigen. Uns als den überlegenen Geistern sollte es eigentlich möglich sein, die Konstrukte zu verbessern.
Sie hat mich um Mitarbeit gebeten. Ich vermute, dass es nicht ganz uneigennützig war.
Dieser Tage verbringe ich nur noch wenig Zeit mit den anderen Mitgliedern des Weltenrates. In den Anfangstakten haben sie mich häufig gebraucht, haben wir alle unser Bestes leisten müssen, aber nun, da sich die Dinge einspielen und Kelriothar einen Punkt eines stabilen Gleichgewichts erreicht zu haben scheint, wendet sich ein Jeder seinen eigenen Betrachtungen zu. Mir ist es lieb. Mir lag schon immer das Ergründen in Gedanken, die philosophische Fragestellung mehr als die Umsetzung. Fast habe ich das Gefühl, ich sei der einzige von uns, der so etwas wie Geduld mitgebracht hat.
Ich habe mit Sim Sin'Karaleth eines jener Gespräche geführt, in denen wir Einfälle in den Raum werfen und versuchen, sie miteinander zu verbinden. Mit ihr so zu arbeiten war mir schon immer eine Freude. Die Eingebungen, die sie manchmal hat, sind unvergleichlich. Allerdings bleibt es dann stets mir überlassen, all ihre Visionen mit Handfestem zu unterfüttern, damit am Ende ein Ergebnis herauskommt.
Wir ergänzen uns gut. Sie vermag es, alles, was gerade da ist, zu etwas zu kombinieren, das zugleich schön und herausragend neu ist. Ich vermag es, Dinge systematisch zu betrachten und jeden möglichen Weg in Gedanken zu evaluieren. Wir müssen einander nichts beweisen. Sie springt in den Wipfeln der Inspiration immer von einem höchsten Zweig zum anderen. Ich hingegen sorge in diesem Bild dafür, dass unter dem höchsten Zweig ein Baum ist, der ihn trägt.
Heute hat sie sich wieder einmal selbst übertroffen. Während sie mir einen Entwurf zeichnete, um mir zu zeigen, wie sie sich die Hülle ihrer Konstruktkrieger vorstellte, kam ihr plötzlich erst der Einfall, wie hilfreich es wäre, wenn sie aus den Augen dieser Krieger sehen und mit ihrem Bewusstsein von einem zum anderen springen könnte. Für ein paar Sätze folgte sie diesem Pfad bis hin zu der Erkenntnis, dass wahre Unsterblichkeit auf ihm liegen mochte, dann aber war sie wieder bei den Kriegern und welche Farben sie wählen sollte, damit sie gleichermaßen hübsch anzusehen und dennoch durchaus fähig wirken würden, Gewalt auszuüben. Niemand könne bezweifeln, so sagte sie mir lachend, dass man einen Xerikan wohl kaum im eigenen Gemach stehen haben wolle. Allein das ständige Zuschaustellen seiner Waffe würde jede Behaglichkeit in einem Raum zerstören. Meinen Hinweis, man könne ihn doch einfach hinter einer Wandabdeckung verstecken, ließ sie nicht gelten mit dem Hinweis, solange sie wüsste, dass er da ist, würde ein Sichtschutz ihr nicht dabei helfen, sich behaglich zu fühlen.
Seit wir nur noch Sieben sind, ist sie die einzige, mit der ich gerne Zeit verbringe.
Sie spielt mit tausenderlei Gedanken. Heute war sie der Ansicht, ihre Konstrukte müssten so gebaut werden, dass sie Seelen von Dienern aufnehmen könnten. Sie hielt es für einen großartigen Einfall.
Wir haben an diesem Komplex einige Zeit Einfälle und Gedanken ausgetauscht. Sie nannte mich einen ewigen Bedenkenträger. Später sang sie für mich.
Viel Zeit ist vergangen. Wir müssen uns um lächerliche Dinge kümmern, weil niemand sonst es kann. Nur noch selten komme ich zu ernsthafter Forschung.
Die Aufgabenstellung ist sehr komplex. Sim Sin Karaleth arbeitet auf ihre übliche Art mit: Hin und wieder wirft sie etwas ein, das entweder Unsinn ist oder unglaublich gewagt, auf jeden Fall aber dazu zwingt, den Blickwinkel zu überdenken.
Ich hingegen gehe methodisch vor. Ich empfinde es als befriedigend und gerecht, dass meine Erfolge eine stetige Rampe in Richtung auf unser Ziel bilden, während sie manchmal sehr hoch springt, manchmal aber auch fällt. Ihr macht es nichts aus und mir auch nicht. Wir sind zwei große Seelen, die einander bei der Hand halten.
Wie sich herausgestellt hat, bevorzugt Kelriothar gewisse Formen. Wahrscheinlich hat es mit der Erschaffung zu tun oder besser gesagt mit der Art, wie diese Welt gespiegelt wurde. Ich habe mich für das, was die Spiegelmagie genannt wird, in der Praxis nie wirklich interessiert. Sie hat uns zwar diese Welt gebracht, doch das hätten wir auch mit anderen Mitteln bewerkstelligen können. Die Spiegelherren waren einfach nur das Werkzeug, das gerade zur Hand war.
Ich bedaure, was danach geschah, doch ist es zweifellos gerecht gewesen. Wir sind von Schülern verraten worden. Wie hätten wir Schülern da je wieder vertrauen sollen? Zweifellos haben sie Dinge vor uns verborgen und waren nicht so offen, wie es ihre Pflicht gewesen wäre. Ihnen widerfuhr Gerechtigkeit.
Die Welt, die die Ewigen erschaffen haben, mag Dinge, die rund sind. Kreisläufe. Der Kreis ist die höchste Ausprägung des Ausgleiches. Im Kreis gibt es keine Extreme, gibt es kein Ausbrechen. Nach dem Plan der Quin ist alles Leben kreisförmig, auf geordneter Bahn und vorgezeichnetem Kurs.
Die Welt, die wir erschaffen haben, bevorzugt harte Kanten. Hier dürfen die Dinge definierte Seiten und Grenzen besitzen. Wir haben diese Kanten in unserem Denken entwickelt, scharfe Klingen des Verstandes. Wir haben dieses Denken weitergegeben und es hat seinen Weg in die Schöpfung Kelriothars gefunden. Kanten sind das Fundament, auf dem diese Welt steht.
Wenn ich einen Abschluss in der Funktionalität eines Schutzkreises brauche, so mache ich ihn eckig. Sechs gleich lange Seiten, acht, zehn oder zwölf. Oder mehr, wenn es mehr braucht. Wie sich herausgestellt hat, wirkt es viel besser, wenn alle Seiten gleich lang sind. Wie sich ferner herausgestellt hat, wirkt es besser, wenn es viele Seiten sind. Wenn es sehr viele Seiten sind, wird das Eckige auf den ersten Blick wieder rund. Doch wir sind bekanntlich die, für die der erste Blick nicht zählt.
Quars zum Beispiel übersetzen dieses Prinzip aus der Fläche in den Raum.
Mit einem Mal ist sie nicht mehr interessiert. Etwas anderes hat ihre Aufmerksamkeit vollends in Anspruch genommen. Sie wollte mit mir über Träume sprechen, ich wollte an unserem Konstrukt weiterarbeiten. Ich konnte sie nicht halten. Wie der Wind war sie davon.
Es war nicht das erste Mal. In einigen Perioden wird das, was nun ihre Aufmerksamkeit fesselte, seinen Reiz verlieren. Dann, eines Tages, steht sie plötzlich wieder da, so als wäre nichts geschehen.
Wäre sie eine andere, dann wäre solch ein Verhalten unerträglich. Doch sie ist Sim Sin'Karaleth. Nichts hält sie auf. Sie denkt jeden Gedanken, den zu denken überhaupt möglich ist, wagt sich mutig hinaus in Weiten, die vor ihr noch niemand betreten hat und das mit einer Leichtigkeit, die sonst niemand besitzt oder je besitzen wird.
Wäre sie kleiner, geringer, weniger beflügelnd, dann würde es mir schwer fallen, solche Launen hinzunehmen. Doch weil sie ist, wie sie ist, folgt es den Gesetzmäßigkeiten der Gerechtigkeit, dass für sie besondere Maßstäbe gelten.
Gezeichnet, Kwualin Octal
Protokoll-Ouai des Gottschöpfers Exar Charon